Familie und Leben · 15. Mai 2017

Stadt? Land? Schluss! – Das Leben ist schön, egal wo du bist

Stadt?

Provinzleben. Eigentlich habe ich mich genau danach gesehnt. Mein ganzes Mainzer Studentenleben lang.

Die zugepflasterte Erde unter meinen Füßen, die ich immer wieder versucht habe, wenigstens dadurch zu erfühlen, indem ich barfuss durch die Strassen lief. Nicht ohne dabei argwöhnische Blicke meiner Mitmenschen (auch in der eigenen Familie) zu ernten.

Der zugepflasterte Rhein, nicht unweit unserer Wohnung. Diese Naturgewalt! Aber eingepfercht in ein Flussbett, made by humans. Pittoresk an das Stadtbild drapiert, doch irgendwie auch traurig.

Der automobilschgewängerte Geräuschpegel, dem man stets ausgesetzt war. Autos, Autos und nochmals Autos. Fahren, bremsen, hupen, nerven. Und Strassenreinigungsfahrzeuggeräusche morgens früh um 6 Uhr, die mich des öfteren aus dem Schlaf rissen. Schön ist was anderes.

Und diese Luft, die stets so schön nach Abgasen stank.

Wie schön es doch wäre, dachte ich dann immer, aufs Land zu ziehen und diesem Moloch aus Asphalt, Straßen und Abgasen den Rücken zu kehren. Wie schön, sich in ein Häuschen mitten in der Pampa zurückziehen zu können, mit einem verwildertem Garten, in direkter Waldnähe, und einem verkehrsberuhigten Bereich, kind- und katzenfreundlich. Wie schön es doch wäre, vom Vogelgezwitscher genervt geweckt zu werden, morgens die Fenster aufzureißen und erstmal eine große Portion frische Luft zu schnappen – und nicht die Abgase der Autos.

Jahrelang schritt ich durch enge, asphaltierten Strassen der Großstadt, – und träumte vom Leben auf dem Land.

Land?

Doch dummerweise ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Und mit der Zeit änderte sich mein Blick auf das Biotop namens Stadt. Nicht nur altbekannte Vorteile ließen das urbane Leben angenehm erscheinen – kein Auto nötig, alles fussläufig erreichbar, bin mittendrin statt nur dabei, kann abends sorgenfrei einen übern Durst trinken und Heim schwanken, autolos glücklich sozusagen.

Auch unser Stadtteil selbst veränderte sich. Neue Cafés, neue Geschäfte, das Neustadt-Flair änderte sich, und eh ich mich versah, fand ich mich plötzlich in einem blühenden, hipsterigem Stadtteil wieder. Hier ein Eiscafé mit abgefahrenen Geschmacksrichtungen (tomate- und kürbiskernöleis gefälligst?), dort ein Kartoffel-Bistro, das nur mit regionalem Gemüse kocht. Initiativen wie gemeinschaftliches Gärtnern in Hinterhöfen.

Zudem begann ich darüber nachzudenken, warum wir gerne dazu neigen, etwas zu verteufeln (Stadt), indem wir das Andere aufwerten (Land) und versuchte es mit einem Perspektivwechsel. Man kann ja auch die Natur in die Stadt holen, Stichwort „Green Cities“. Man kann einen Obst- und Gemüsegarten auf Balkonien einrichten, Stichwort „hängende Gärten“. Und plötzlich wurde ein Leben in der Stadt für mich gar nicht mal so undenkbar.

Allerdings ist das Leben manchmal eine Bitch (sorry für die Wortwahl, doch alles andere würds nicht gescheit beschreiben), denn kaum ließ ich den Gedanken zu, dass ich es mir auch in der Stadt gemütlich machen könnte, fand ich mich plötzlich doch auf dem Land wieder. Nicht ganz freiwillig zog es mich zurück in meine Heimatstadt.

Und zwar mitten in die Pampa. Verkehrsberuhigter Bereich, Garten, ein Wald hinterm Gartenzaun, Vogelgezwitscher en masse, steht das Haus doch mittendrin im Vogelnaturschutzgebiet. Wir frühstücken mit Spechten und Hasen. Genau das wolltest du doch, Julia, oder, frage ich mich. Doch auch jetzt, kaum hier angekommen und realisiert, dass dies hier nun, vielleicht, „für immer“ mein dauerhafter Wohnort sein wird, vermisste ich plötzlich die Großstadt.

Die Stadt mit all ihrem urbanen Lärm, mit Strassen und Gässchen, mit all ihren Möglichkeiten, Zeit zu verbringen, sich was anzuschauen, all die Feste und Happenings, die Flohmärkte und Gemüsemärkte, das alles direkt vor deiner Haustür. Die Qual der Wahl, zu welchem der vier(!) Bäcker man denn heute geht für seine Brötchen. Auf dem Land muss man für frische Sonntagsbrötchen ins Auto steigen und 10-15 Minuten fahren. Die Stadt – mit all ihren Menschen, bekannten Gesichtern, denen man trotz Großstadt immer wieder begegnet. Man grüßt sich, smalltalkt und geht wieder seiner Wege. Die schönen Tage am Rhein, in dem man zwar nicht baden darf, doch allein der Blick auf ihn genügte, um eine Ehrfurcht vor dieser Naturgewalt zu spüren, die er zuweilen uns kleinen Menschenwesen zeigte.

Stadt? Land? Stadt?…

Mein Fazit: Man kann es mir also nicht recht machen. Nicht auf diese Art und Weise.

Ein Landmädchen wird Stadtmädchen (aber nicht ganz), wird wieder Landmädchen (aber nicht ganz). Jeder dieser Orte hat mich verändert. Aus jedem habe ich etwas mitgenommen. Ich kenne die Vor- und die Nachteile vom Leben auf dem Land und in der Stadt. Doch auch das stimmt nicht so ganz. Denn die Vor- und Nachteile kenne ich nur aus der Perspektive einer Frau Anfang Dreißig, einer Geisteswissenschafterlin mit mehreren Berufsabschlüssen, mehreren Jobs in Anstellung und frei, einer Vollzeitmutter und Wochenendehefrau.

Erst lebte ich auf dem Land – und träumte von der Stadt. Dann lebte ich in der Stadt – und träumte vom Land. Und bin nun wieder auf dem Land – und vermisse die Stadt. Fraugottnochmal, Julia, dachte ich, wird es nicht irgendwann mal anstrengend, immer gerade das zu vermissen, was gerade nicht da ist?

Ja, doch, wird es. Und dennoch war diese Odyssee nicht umsonst.

Schluss! Zuhause – das bist Du

Ich habe gemerkt: Nicht die äußeren Umstände entscheiden, ob du dich glücklich und angekommen und Zuhause fühlst, sondern ganz allein du selbst. Deine Einstellung. Dein Wollen. Punkt.

Ganz einfach eigentlich. Im aktuellen Zustand versuche ich nun alles, was auf mich zukommt, positiv zu sehen. Eine Methode ist, zu refraimen: Ich rücke alles ins positive Licht, suche bei allen Ereignissen, die mir widerfahren, die Vorteile.

Alles ist für irgendwas gut. Auch dieser mein verrückter Zustand. Irgendwann werden sich die großen Fragen klären. Hoffentlich. Und solange finde ich mein Leben schön.

Halt ein, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir…

Wir leben inmitten von wunderschönen Landschaften. Um uns herum – Fichtelgebirge, Thüringer Wald und die Fränkische Schweiz, direkt vor unserer Nase. Und diese Gegenden auf Wanderrouten zu erkunden habe ich mir nun vorgenommen.

Ich bin jetzt hier, auf dem Land. Und auch wenn ich mich zuweilen noch nicht angekommen fühle, mich immer wieder noch die Stadtsehnsucht packt, weiß ich, woran es eigentlich liegt: Zuhause ist eigentlich kein Ort auf einer Landkarte. Ich bin es. Ich muss mich in mir selbst Zuhause fühlen. Wenn ich mit mir im Reinen bin, mit dem, wer ich und wie ich wirklich bin, dann bin ich überall heimisch, überall „Zuhause“.

Und was die äußeren Umstände angeht: Nichts ist in Stein gemeißelt. Alles kann sich noch ändern. Immer und überall.

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