Tacheles · 4. Februar 2019

gender?gerecht! warum sprache sich ändern muss

anfang des jahres wurde in hannover eine so genannte gendergerechte sprache eingeführt. gemeint damit ist schlichtweg der versuch, die menschen nicht mit der (meist) männlichen anrede anzusprechen, sondern so gut es geht, auf jene begriffe zurückzugreifen, die beide geschlechter ansprechen. (und zudem raum lassen, dass sich auch menschen mit einer variablen geschlechtsidentität angesprochen fühlen.)

„wähler“ heißen ab nun in hannover „wählende“ und der „rednerpult“ ist zum „redepult“ umbenannt. ganz kleine sprachliche veränderungen, die aber für die betroffenen gruppen schon viel bedeuten. nichtsdestotrotz erhitzen diese wörter nun die gemüter. während die einen laut „gender-ideologie stoppen!“ brüllen und behaupten, dass irgendwelche dunklen mächte („eliten“) männlein und weiblein ausmerzen wollen und den menschen zu einem einheits-ES kreieren, fragt sich nzz-autor daniel haas, ob dies alles mit rechten/demokratischen mitteln einhergegangen sei, dort in hannover – und macht sich tatsächlich sorgen um die geflüchteten, die ohnehin schon probleme mit dem bürokratendeutsch hätten. wie es wohl ihnen nun erginge, wenn sie sich jetzt auch noch mit diesen begrifflichkeiten auseinandersetzen müssten? (wohl noch ein grund mehr, um sie abzuschieben?)

mittels sprache vielfalt in der gesellschaft darstellen wollen – warum ist das so verurteilenswert?

der ersteren gruppe entgegne ich: nein, niemand will männlein und weiblein ausmerzen. im gegenteil, männlein und weiblein sollen bestehen bleiben, gar keine frage! auf der geschlechtlichen identitätsskala gibt es allerdings weitaus mehr als nur „männliche“ und „weibliche“ personen, und diese menschen in der gesellschaft sollten sich ebenfalls angesprochen fühlen. es reicht einfach nicht, zu sagen, die sollen sich nicht so haben, sie seien ja doch schon „mitgemeint“. 

würden diejenigen, die das gendersternchen so stark verweigern, sich mal die entsprechenden sprachwissenschaftliche studien zu gemüte führen, würden sie nämlich erfahren, wie sehr sich die frauen eigentlich „mitgemeint“ sahen, als es nur die männliche anredeform gab (vgl. dazu z.b. artikel des sprachwissenschaftlers anatol stefanowitsch). die weibliche anredeform existiert ja auch noch nicht soo lange.

sicherlich war es anfangs auch eine riesen-umstellung, männer und frauen in wort und schrift sichtbar zu machen, aber hey, wir haben uns dran gewöhnt, oder nicht?

probleme mit dem bürokratendeutsch haben nicht nur geflüchtete …

was das argument mit den geflüchteten und dem bürokratendeutsch angeht, so muss ich gestehen: ja, bürokratendeutsch ist wirklich verwirrend – aber nicht nur für geflüchtete, sondern auch für menschen wie dich und mich, die hier geboren oder fast ihr ganzes leben lang verbracht haben.

aus diesem grund auf die gendergerechte sprache zu verzichten, ist allerdings kein argument, sondern nur ein fauler vorwand, um alles so zu belassen „wie es immer schon gewesen ist“. aber dann müssten wir zurück zu affenlauten à la „uh uh“ und „ah ah“ zurückkehren, denn das haben unsere vorfahren doch auch „schon immer so gemacht“. 

by the way plädiere ich generell dafür, alle behördlichen briefe und formulare so zu formulieren, dass alle (!) sie verstehen. (als deutschdozentin in geflüchtetenklassen, die immer wieder gebeten wurde, dieses oder jenes formular zu erklären, kann ich wirklich ein lied davon singen – niemand, wirklich niemand braucht so ein bürokratendeutsch!)

sich aus der eigenen komfortzone zu begeben ist halt schon schwer…

meiner meinung nach zeigen die menschen, die sich vehement gegen eine gerechtere sprache wehren, eigentlich nur eines: ihre unfähigkeit bzw. den unwillen, die eigene egoistische komfortzone zu verlassen und auf dem recht zu beharren, die deutungshoheit darüber, was „normal“ ist, zu behalten.  

denn einer solchen veränderung zuzustimmen würde ja bedeuten, sich aus der eigenen komfortzone heraus zu begeben und selbst anstrengungen zu unternehmen. ich muss darauf achten, wie ich rede. ich muss mich bemühen und die art und weise, wie ich zu reden gewohnt bin, ändern. und genau das ist vielen menschen ein dorn im auge. 

menschen sind (meist) gewohnheitstiere. sie sind träge. veränderung fällt ihnen schwer. veränderung ist ihnen lästig. und daher wollen sie, dass
alles so bleibt wie es ist.

nur ist dieses alte so-wie-es-ist eben nicht gerecht. denn es gibt eben menschen, die sich zu keinem der geschlechter (oder zu beiden gleichzeitig) zugehörig fühlen. aber diese menschen existieren dennoch und wollen wahrgenommen werden. woher nehmen also die anderen dann das recht, ihnen das zu verwehren und sie aus unserer gesellschaft auszuschließen?

und kommt mir bitte nicht mit „das war schon immer so…“, nur weil es „schon immer“ so war, heißt es nicht, dass es schon immer gerecht war.

blick über den tellerrand – und in die zukunft

würde sich diese bequemen menschen aus ihrer komfortzone herausgegeben und einen blick über den eigenen tellerrand werfen, so wären sie überrascht, denn dann würden sie sehen, in wie vielen kulturen/gesellschaften eigentlich menschengruppen
existieren, die sich zu so genanntem dritten geschlecht zählen – travestis in brasilien, hidjras in indien, ladyboys in thailand – und die in ihrer gesellschaft einen platz haben! 

was tun also mit diesen starren zeitgenossen, die sich partout weigern, gesellschaftliche veränderungen zu akzeptieren und sich nicht an die gesellschaftliche realität anpassen wollen? mir fällt da nur zynisches ein: abwarten und tee trinken. irgendwann sterben sie aus. 

und währenddessen auf die jüngere generation setzen. denn mal ehrlich: bringe den kindern in der grundschule im deutschunterricht bei, „lehrer*in“ und „studierende“ zu verwenden – sie werden diese art zu schreiben als das normalste auf der welt ansehen. und eh mensch sich versieht wächst eine neue generation von sensibilisierten menschen heran.

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