der wecker klingelt, sechs uhr früh. der tag beginnt.
fünfzehn minuten. fünfzehn minuten gebe ich mir, um allein den neuen tag zu begrüßen. während die nachrichten in mein halb waches bewusstsein rieseln, tobt im körper ein krieg: dösen? oder doch sofort aufstehen? der ewige kampf zwischen lust und unlust. eigentlich weiß ich, was „richtiger“ wäre und doch: mal überwiegt das eine, mal das andere. heute war triumphiert das vernünftige über-ich. gefühlszustand: himmelhochjauchzend.
sechs uhr fünfzehn. zeit, den kleinen mann aus seinen träumen zu reissen. mein erster grausamer akt des tages. er kommt so früh! denn ist es nicht so: das mit den kindern und dem engelsgesicht, während sie schlafen? hier in meinem fall: eindeutig ja! das herz blutet, doch ein muss ist ein muss. er muss aufwachen, sich anziehen, das essen in den schulranzen packen. ich würde dich liebend gerne schlafen lassen, doch es geht nicht. gefühlszustand: zu tode betrübt.
sieben uhr achtundzwanzig. zeit, loszufahren. die challenge, mal ein paar minuten früher zu starten, haben wir heute nicht geschafft. zwar kein muss, aber ein kann, das uns, mir, ein paar ruhigere momente auf der autobahn beschert, während ich krampfhaft versuche, das autofahren nicht allzusehr zu offensichtlich zu hassen. nicht dass man mich hier falsch versteht. ich liebe autofahren und bin eine hervorragende beifahrerin. doch nun sitze ich auf der anderen autoseite – und wünsche mich ganz weit weg, sobald vor, neben oder hinter mir weitere autos. gefühlszustand: zu tode betrübt.
sieben uhr fünfundvierzig: die schule ist in sicht. der schulranzen allerdings nicht. sohnemann – und ja, auch ich – zwei tagträumer und schlafwandler am frühen morgen, waren wohl zu verschlafen und verträumt. ich überlege, die arbeit hinten anzustellen und dem kind den vorzug zu lassen. gefühlszustand: zu tode betrübt.
doch schon blinkt das handy. ein anruf in abwesenheit. (groß-)eltern haben das malheur bemerkt. die baba (russisch für „omma“) erklärt sich bereit, das verlorene gepäckstück zur schule zu fahren. in augenblicken wie diesen wird mir immer wieder bewusst, welch enormes glück es bedeutet, familie in unmittelbarer nähe zu haben. ich kann getrost direkt zur arbeit fahren. gefühlszustand: himmelhochjauchzend.
acht uhr dreißig bis zwölf uhr dreißig. heute leite ich den kurs. den deutschunterricht mache ich an zwei tagen die woche. an den restlichen drei manage ich das alltäglichen chaos aus verwalten, organisieren, betreuen. heute üben die teilnehmenden wortschatz, lesen texte, bearbeiten aufgaben. ich übe binnendifferenziertes unterrichten. trotz fröhlicher atmosphäre ist meine zufriedenheit eher mau. am ende der stunde mein urteil an mich: meine ansprüche habe ich nicht erfüllt. gefühlszustand: zu tode betrübt.
feierabend. bis sohnemann wieder aus der nachmittagsbetreuung geholt werden darf/muss sind noch vier stunden. vier stunden habe ich zeit. das anfängliche „yeah, soo viel zeit!“ verflüchtigt sich alsbald. denn in wahrheit fühlen sich diese vier stunden wie eine an. eigentlich habe ich diese kostbaren (im wahrsten sinne, da sie ja was kosten) stunden fürs schreibende arbeiten (als bloggende journalistin, ihr erinnert euch, ja?) vorgesehen. doch diese zeit, ach diese zeit. wo geht sie nur hin? sie geht hin, um den arbeitsplatz ordnungsgemäß verlassen, um nach hause zu fahren, um sich ein snack zwischen die kiemen zu hauen, um sich kurz aufs sofa zu pflanzen und die emails zu checken (das kann man schon als luxus bezeichnen, ja ja, in der tat), um sich wieder aufzurappeln, da man sich erinnerte, dass da noch ein paar lästige aber notwendige bürokra(m)tie-lastige angelegenheiten auf bearbeitung warten. to-do-deadline: sofort, möglichst gestern. gefühlszustand: anfangs himmelhochjauchzend und dann doch wieder zu tode betrübt.
siebzehn uhr. fahre den sohnemann gewissenhaft zum kampfsport. da die parkplatzsituation in dieser stadt nicht vorsieht, die-kinder-kutschierenden-eltern-freundlich zu sein, mache ich mich auf den weg, irgendwo einen parkplatz zu finden, der mich a) kein vermögen kostet, und b) dennoch leicht anfahrbar ist (denn die autophobie hab ich verinnerlicht, da komm ich nicht mehr so schnell raus). diesmal finde ich einen parkplatz. zwar aus einem anderen zeitalter aber immerhin funktioniert das bezahlsystem noch. ich verkrieche mich in einem café (und mit einem kaffee), lasse die zeit eine zeitlang zeit sein, schreibe. das regt glückshormone an. gefühlszustand: himmelhochjauchzend.
kurz vor achtzehn uhr. kampfsport neigt sich dem ende zu. mein kaffee im café auch. also klappe ich den laptop zu, egal ob ich in gerade in einem schreibflow war oder nicht. das spielt keine rolle. denn ein muss ist ein muss, wenn für „kann“ kein platz ist. sohnemann wünscht sich eine lasagne. das versprechen dazu hat er mir schon am wochenende abgenommen. auf mein vorschlag, doch lieber etwas „leichtes“ zu essen, ernte ich „ist es dein ernst?“-blicke. dann erinnere ich mich an das tagesmenü in der nachmittagsbetreuung und muss ihm recht geben. wer bitte schön kam auf die idee, dampfnudeln mit vanillesauce (!!) in die liste der hauptgerichte aufzunehmen?! teig und zucker, das ist doch keine nahrung. na gut, versprochen ist versprochen. doch zuvor fahren wir noch zur tankstelle. die reifen brauchen luft. beim ersten reifen gibt’s komplikationen. nicht untypisch für mich, ziehe ich doch autobedingte komplikationen magisch an. also wundert es mich kaum, als ich undefinierbare geräusche aus dem schlauch höre und die anzeige nicht das anzeigt, was sie soll. ich ergebe mich in mein schicksal – und hole den tankwart. denn diese autos, man weiß ja nie… der herr ist flott, aber auch nett. er hört mir gewissenhaft zu, schaut sich den reifen an, aus der ferne, sagt sätze wie „sie müssen den schlauch dahin tun und auf den knopf dort drücken“ und lässt mich, uns, dann doch wieder mit unserem elend allein. egal. am ende sind die reifen aufgepumpt. das kind teilt mir mit, dass sein hunger nun zu einem bärenhunger angewachsen ist. lasagne muss her. und das knapp zwei stunden vor der schlafenszeit! gefühlszustand: zu tode betrübt.
achtzehn uhr dreißig. die lasagne bereite ich zu im akkord. während der käse im ofen schmilzt, höre ich das kind geige spielen. dies ebenfalls im akkord. ich gebe zu, ich habe ihn gezwungen, und ihn auch ein wenig erpresst, aber er wollte etwas (lasagne essen) und ich wollte etwas (dass er geige übt). die gunst der stunde habe ich genutzt, und eine win-win-situation daraus gemacht. so sind wir mütter: den kindern zu liebe tun wir alles. fragwürdige methoden anwenden inklusive. denn kinder in diesem alter wissen nicht immer und nicht ganz so intensiv, was ihnen „gut“ tut und was vielleicht „richtig“ ist. das ist meine, unsere aufgabe: wir müssen ihnen das „richtige“ und das „gute“ zeigen, oder zumindest die richtung dahin. ja das müssen wir. immerhin: er hat geübt. zehn minuten zwar aber er hat geübt. gefühlszustand: himmelhoch jauchzend.
neunzehn uhr fünfzig. wir essen lasagne anstatt, wie sonst üblich, schon mitten im abend-einschlaf-ritual inklusive „zähne putzen“ und „gute-nacht-geschichte lesen“ zu sein. lasagne hatte gesiegt. eben auf kosten des lesens.
zwanzig uhr dreißig. weil seine miezekatze nicht im bett schlafen durfte (hausordnung), sind die kindertränen getrocknet und die lichter gedimmt. er ist im schlafland.
jetzt. es sind noch ein paar stunden bis zur mitternacht. ich bin kein langschläfer – oder ich habe es verlernt. bis mitternacht hätte ich knapp drei stunden zeit. ich könnte nun etwas schreiben. oh ja, das wäre prima! doch etwas entscheidendes fehlt. die kraft. zu müde bin ich und zu ausgelaugt vom tag, um kreativ zu sein. also lese ich, was die anderen irgendwann geschafft haben, aufzuschreiben. mir bleiben nur meine ideen und die stille hoffnung, auf ein irgendwann, ein ein-ander-mal, vielleicht. und der gefühlszustand schwebt irgendwo bei zu tode betrübt…